Sieben Jahre nach seiner Flucht aus dem klassischen Arbeitsleben von 9 to 5 und einem Leben als Schriftsteller fand sich der britische Autor Robert Wringham plötzlich in einem Großraumbüro am Rande von Glasgow in Schottland wieder. Was war passiert? Nun, die Liebe hat ihn wieder in die Heimat zurückgeführt. Damit seine kanadische Ehefrau jedoch in England bleiben durfte, musste er für ein paar Jahre ein gewisses Einkommen nachweisen, also ging er in seinen alten Job im Sektor Informationstechnik zurück. Über dieses Kapitel seines Lebens erzählt Robert Wringham in seinem Buch „Das gute Leben. Wie Sie trotz Ihres öden Jobs glücklich leben können.“ Ein paar seiner Gedanken möchte ich in diesem Beitrag aufgreifen.
„Das gute Leben ist eine subjektive Angelegenheit, denn jeder hat seine eigene Vision davon. Manche Menschen sind bescheiden veranlagt, andere hegen hingegen große Ambitionen. Manche suchen die Abgeschiedenheit, andere die Gemeinschaft.“
Robert Wringham, Das gute Leben, 26
1. Die grundlegenden Prinzipien des guten Lebens
Das Konzept des guten Lebens ist keine neuzeitliche Erscheinung, sondern eine, die sich bereits in der griechischen Philosophie – vor allem bei Aristoteles oder auch Sokrates – wieder findet. Die grundlegenden Prinzipien haben sich über die Jahrhunderte jedoch kaum geändert. Nach Robert Wringham besteht die wahre Essenz des guten Lebens (24) aus:
- Gesundheit
- Freundschaft
- Liebe
- ganz viel Freizeit
- zielgerichteter oder zielloser intellektueller Erfüllung
- sinnlichen Freuden
- der Wertschätzung der gegenwärtigen Umwelt
- einer befriedigenden kreativen Tätigkeit
- einer sauberen und würdigen Wohnung
„Der Sinn des Lebens besteht einzig und allein darin, es zu genießen.“
Robert Wringham, Das gute Leben, 29
2. Das Problem der Arbeit
In seinem vorherigen Buch „Ich bin raus. Wege aus der Arbeit, dem Konsum und der Verzweiflung“ hat der Autor das Leben in der Lohnsklaverei äußerst kritisch gesehen und alles daran gesetzt, aus dem System auszusteigen. In diesem Buch hat er sich mit dem Gedanken angefreundet, dass die Aufnahme einer Arbeit, die sich aus einer Notwendigkeit ergibt, einem guten Leben nicht im Wege stehen muss. Der Weg dorthin ist jedoch mit mehreren Hindernissen gepflastert. Das eine Hindernis ist die Konsumkultur. Das andere ist „ein unterwürfiges Verhältnis zu Arbeit und ein tief sitzendes Vorurteil gegenüber den Freuden, die wir weiter oben beschrieben haben. (37)“ Damit meint er das Streben nach Genuss in Form von Vergnügungen wie beispielsweise der Freude an Kunst, Literatur, sinnlichen Erlebnissen, Sport und Spiel usw.
Das Problem der Arbeit besteht laut Wringham aus unterschiedlichen Faktoren. Ein Problem, das auch ich gut nachvollziehen kann, ist das Thema der physischen Präsenz. Diese Pflicht empfand der Autor als eine Erinnerung an die Schulzeit mit der Androhung harter Strafen fürs Schwänzen.
„Das Frustrierende daran ist, dass wir keine Kinder mehr sind und dass es sogar recht schmerzhaft sein kann, sich nicht von der Stelle bewegen zu dürfen, bloß weil irgendeine Autorität das von uns verlangt. Die versprochene Freiheit des Erwachsenenseins, nämlich, dass man selbst über sich bestimmen darf und nicht von irgendwelchen Lehrertypen herumgeschubst wird, stellt sich letztlich als Trugschluss heraus.“
Robert Wringham, Das gute Leben, 61
Selbstbestimmung ist jedoch gerade einer der wichtigsten Faktoren, der die Zufriedenheit steigert. Selbst entscheiden zu können, wann, wo und wie gearbeitet wird und wie man den eigenen Tag strukturiert, ist ein Glücksgarant. Für dieses Problem gibt es eine Lösung:
Gerade Bürotätigkeiten bieten durch den technologischen Fortschritt die Möglichkeit, ganz bequem und entspannt von zu Hause oder von unterwegs zu arbeiten. Dass das funktioniert, haben die Jahre der Corona-Krise gezeigt. Viele Unternehmen haben während dieser Zeit bessere Zahlen geschrieben als davor. Das spiegelt auch der Produktivitätsindex von Statista wieder. Dort heißt es: „Die Arbeitsproduktivität stieg im Jahr 2022 zum Vergleichsjahr 2015 um rund 1,97 Prozentpunkte an.“
Natürlich setzt mobiles Arbeiten im Home Office voraus, dass zu Hause auch genügend Platz für einen Schreibtisch und Equipment besteht. Auch benötigt es Selbstdisziplin. Wieso viele Unternehmen jedoch 2023 ihre Mitarbeiter zwingen wollten, wieder ins Büro zu kommen, ist für mich nicht nachvollziehbar. Schließlich kommt es auf die Ergebnisse an. Und wenn Mitarbeiter beim mobilen Arbeiten bessere Ergebnisse erzielen als zuvor im Büro und außerdem glücklicher sind, da sich Familie, Beruf und Freizeit besser vereinbaren lassen, ist es dann nicht sinnvoller, ihnen diese Freiheit auch weiterhin zu gewähren?
Stattdessen berichtete die Süddeutsche beispielsweise 2023 über einen Streit über Präsenzzeiten bei der Allianz. Auch SAP und andere Unternehmen forderten wieder eine Büropflicht, was zu Konflikten geführt hat. Dass viele Arbeitnehmer dies als Grund sahen, ihren Arbeitgeber zu wechseln, ist deshalb nicht verwunderlich. In diesem Kontext ist auch zu bedenken, dass Qualität und Quantität nicht dasselbe sind. Nur weil jemand an einem Ort Präsenz zeigt, heißt das noch lange nicht, dass die Person auch produktiv arbeitet. Wenn das so wäre, dann würde der Produktivitätsindex viele höhere Ausschläge anzeigen. Dies ist aber nicht der Fall. Zwischen 2010 und 2022 liegt lediglich eine Differenz von 5,35 Punkten. Die Absurdität des Ganzen beschreibt Robert Wringham äußerst zutreffend:
„Die Pflicht der physischen Anwesenheit, um den Job zu erledigen, war also vollkommen absurd und genauso sinnvoll, als ob man sich erst mal auf die andere Seite der Stadt schleppen müsste, um seine E-Mails zu checken oder einen Blog zu lesen.“
Robert Wringham, Das gute Leben, 62
Ein weiteres Problem der modernen Arbeitsverhältnisse ist laut Wringham die Herbeiführung des kreativen Todes von Ideen. Dies geschieht insbesondere durch eine Unterforderung, da selten kreative Lösungen für Probleme gefordert werden. Darüber hinaus verhindert Arbeit das gute Leben im Bereich der Gesundheit in einem Großraumbüro aufgrund des Mangels an Privatsphäre, dem Zwang zu Produktivität bei anspruchslosen Arbeiten, der Reizüberflutung und fehlender Freude an den Aufgaben (71). Es ist kein Geheimnis, dass langes Sitzen für die Gesundheit schädlich ist. Auch schleichen sich schlechte Gewohnheiten ein, der Müdigkeit mit Zucker oder anderen ungesunden Snacks entgegenzuwirken. Dies führt zur Gewichtszunahme. Zu viel Kaffee wirkt sich ebenfalls nachteilig auf die Gesundheit aus. Darüber hinaus besteht in einem Großraumbüro der Zwang, Zeit mit Menschen zu verbringen, die man eigentlich gar nicht mag.
„Büros, davon bin ich überzeugt, zerstören jede Form von sozialen Beziehungen, manche erzeugen sogar so etwas wie ein übertrieben familiäres Klima und gleichzeitig eine totale Vereinsamung.“
Robert Wringham, Das gute Leben, 85
Ich stimme ihm zu, dass ein gewisser Zwang besteht. Jedoch ist es oft auch so, dass man gerade am Arbeitsplatz viele nette Menschen kennenlernt und sich auch darüber hinaus Freundschaften entwickeln können. Dieser Punkt ist also subjektiv zu beurteilen.
3. Zeit zurückfordern als Lösung
Was kann also derjenige, der mit den geschilderten Problemen konfrontiert ist, tun, um trotz eines öden Jobs ein gutes Leben zu führen? Als erstes schlägt Robert Wringham vor, die Zeit der Arbeit nach Möglichkeit zu reduzieren. Um dieses Ziel zu erreichen, ist es notwendig, clever und mit Bedacht vorzugehen. Doch zuvor „müssen wir die Idee verwerfen, dass ständiges Tun und Machen erstrebenswert sei. (95)“ Geschäftigkeit ist nämlich nicht mit Produktivität, Effizienz und Effektivität gleichzusetzen.
„Die Vorstellung, dass Geschäftigkeit etwas Gutes ist, resultiert aus der falschen Annahme, dass es ein Zeichen des persönlichen Erfolgs ist, wenn man gefordert wird. Wenn man 50 Stunden die Woche arbeiten muss, ist man ein gefragter Mensch! Ein Mensch, der gebraucht wird und bestimmt ziemlich wichtig ist! Das ist nichts als Verblendung und Unterwerfung unter das Regime jenes Betriebssystem, das behauptet, Arbeit an sich sei schon ein Wert.“
Robert Wringham, Das gute Leben, 96
Es geht hier Wringham zufolge also um die Definition von Erfolg im Zusammenhang mit Arbeit. Seiner Meinung nach sind erfolgreiche Menschen eben keine geschäftigen Menschen, sondern diejenigen, die ihre Aufgaben schnell und effektiv erledigen und das in aller Bescheidenheit. Als einzelne Schritte, um von einem Vollzeitjob auf Teilzeit zu kommen, empfiehlt der Autor:
- Lebenshaltungskosten reduzieren
- Nach dem passenden Teilzeitjob umschauen oder
- den Chef davon überzeugen, die Arbeitszeit zu reduzieren
Die Ausdehnung der Mittagspause auf eine Stunde ist eine weitere Maßnahme, die das eigene Wohlbefinden steigern kann. Dies verlängert zwar die Arbeitszeit vor Ort, wirkt sich dennoch positiv aus. Als ich noch in einem Büro gearbeitet habe, bin ich gerne spazieren gegangen und 30 Minuten waren da einfach zu wenig. 1 Stunde wäre besser gewesen, dann ist der Kopf wieder frisch und die Kreativität im Fluss.
Die Gestaltung des Jahresurlaubs kann dem Autor zufolge auch systematisch angegangen werden. Sein Vorschlag wäre: 10 % mit Ausruhen, Entspannen und Kräfte sammeln zu verbringen, 60 % in echte Freude investieren und 30 % in Kreativität. Bei echter Freude geht es natürlich darum, Spaß zu haben. Ob man seine Zeit mit Reisen verbringt, damit Neues kennenzulernen, mit der Familie und Freunden zusammen zu sein oder neue Erfahrungen zu machen, das bleibt einem selbst überlassen. Besorgungen und Alltagsangelegenheiten sollten hier jedoch auf ein Minimum begrenzt werden.
4. Strategien, um sich im Büro wohlzufühlen
Da nicht jedem die Möglichkeit offen steht, von zu Hause oder von unterwegs zu arbeiten, stellt Robert Wringham auch Strategien vor, wie sich die Situation in einem Großraumbüro dennoch erträglicher gestalten lässt. Als erstes schlägt er Hingabe an die Arbeit vor. Wer sich vollends auf die Aufgaben konzentriert, entwickelt die Fähigkeit, sich in einen Flow-Zustand zu versetzen. „Wenn man im Flow ist, werden alle Ängste und Frustrationen aus dem Bewusstsein ausgeblendet, und man wird total konzentriert, kann sich auf die übernommene Aufgabe fokussieren und sie bewältigen. (146)“
Um diesen Zustand zu erreichen, ist es notwendig, alle Ablenkungen beiseitezuschieben und auf die Machbarkeit der Aufgabe zum jeweiligen Zeitpunkt zu achten. Andere Verpflichtungen spielen in dem Moment keine Rolle. Es geht darum, sich nur um diese eine Sache zu kümmern, bis sie erledigt ist.
Ein weiterer Vorschlag ist, einige persönliche Angelegenheiten am Arbeitsplatz zu erledigen. Dies führt nämlich zur Qualitätssteigerung, da einige lästige Tätigkeiten nicht mehr am Wochenende oder während der Mittagspause anfallen.
Daneben schlägt der Autor vor, sich mit dem zu befassen, was er als „Karrieregymnastik“ bezeichnet. Hier geht es darum, die Zeit am Arbeitsplatz dazu zu nutzen, die eigenen Kenntnisse zu erweitern. Die Steigerung der eigenen Qualifikationen erhöht nämlich Chancen auf neue Jobs oder Nebentätigkeiten.
Zuletzt schlägt er vor, die eigene Aufmerksamkeit darauf zu lenken, die Situation am Arbeitsplatz zu verbessern. „Dazu könnte gehören, ein Handbuch über all das zu schreiben, worin sie gut sind […]; nach Möglichkeiten suchen, logistische Abläufe schneller und billiger zu machen und ein diesbezüglich Empfehlung auszusprechen (167)“ usw.
Auch weist der Autor darauf hin, dass einige Vorschläge am Arbeitsplatz möglicherweise untersagt sind und von daher jeder selbst entscheiden muss, ob er diese umsetzen möchte oder nicht.
5. Fazit
Über die genannten Strategien hinaus stellt Robert Wringham in seinem Buch „Das gute Leben. Wie Sie trotz Ihres öden Jobs glücklich leben können“ auf 377 Seiten noch viele weitere vor. Einige davon lassen sich einfach umsetzen und andere erfordern Zeit und Planung. Auch sind nicht alle Vorschläge ernst zu nehmen.
Als Ausgangspunkt des Buches ist der zentrale Gedanke, „dass wir zur Arbeit gehen, weil wir müssen, nicht weil wir es gern tun“ zu nennen. Dies ist auch der Grund, wieso der Autor über einen Zustand der Lohnsklaverei schreibt. Ein zweiter wichtiger Gedanke, den Wringam anführt, um sein Konzept besser zu verstehen, lautet:
„Ein Leben ohne Vergnügen ist überhaupt kein Leben, und die angebliche Lösung des Problems (der Konsum) verschärft unser Problem und unser Unglück nur mehr.“
Robert Wringham, Das gute Leben, 358
Es geht in seinem Buch nicht um die grundsätzliche Ablehnung von Arbeit, sondern um eine realistische Einschätzung der unverhältnismäßigen Wertschätzung von Arbeit an sich. Es geht auch darum, die Leser dazu anzuregen, das Leben zu leben und auszukosten. Hierfür ist weder unverhältnismäßiger Konsum noch viel Geld notwendig.
Letztendlich entscheidet jeder für sich selbst. Das Prinzip der Selbstverantwortung gilt für jeden, der das gute Leben erreichen möchte. Welche Lösung sich für Dich am besten eignet, hängt von Deiner Biografie, Deinen Lebensumständen und Zielen ab.